Mittwoch, 2. Mai 2018

Für die Demokratisierung der Sozialdemokratie

Den folgenden Text habe ich gemeinsam mit anderen GenossInnen im Zuge der Debatte um eine Reform des Parteiprogramms entwickelt, um einen Beitrag zur länst überfälligen Demokratisierung der SPÖ zu leisten. Die darin enthaltenen Vorschläge können sinngemäß auch auf andere Organisationen der ArbeiterInnenbewegung inklusive der Gewerkschaften übernommen werden.

Seit längerem gibt es immer wieder Diskussionen darüber, wie demokratische Spielregeln in der SPÖ aussehen müssen, damit diese es eine echte Beteiligung der Mitglieder und die Durchsetzung der Interessen der arbeitenden Menschen, der Jugend, der PensionistInnen und Frauen möglich machen. Hierfür war z.B. der Positionswechsel der Parteispitze in der Frage von CETA verantwortlich, der ein Mitgliedervotum in dieser Frage ignoriert hat. Unabhängig davon, welche Position sie in der konkreten Frage vertreten, ist eine Vielzahl an GenossInnen der Meinung, dass Demokratie in unseren Reihen anders aussehen muss, als dass wir von oben vorgesetzt bekommen, was wir zu denken und politisch zu vertreten haben.

Gleichzeitig gibt es in Europa kaum mehr eine sozialdemokratische Partei, in der die Vorsitzenden nicht von der Basis gewählt werden. Die SPD hat heuer einen Koalitionsvertrag zum zweiten Mal einer Urabstimmung unter allen Mitgliedern unterzogen. Die Demokratisierung der Labour Party hat mittlerweile nahezu zu einer Verdreifachung des Mitgliederstandes geführt. Insbesondere junge Menschen fühlen sich davon angesprochen, was sich auch daran zeigt, dass alleine die Jugendorganisation von Labour mittlerweile mehr Mitglieder hat als die gesamt Konservative Partei. Selbstverständlich hat dieser Zuwachs auch mit geänderten politischen Positionen, einem Linksschwenk der Labour Party, zu tun. Nichtsdestotrotz sind die Zeiten offensichtlich vorbei, als Menschen bereit waren, sich politisch zu engagieren, ohne die Positionen und Strukturen selbst mitbestimmen zu können. Wir sollten daher einen Schritt weiter gehen als die genannten Beispiele und alle wesentlichen Funktionen und politischen Ämter durch die jeweiligen Mitglieder auf allen Ebenen wählen lassen.

Echte Demokratie kann es nur geben, wenn die Delegierung bzw. Wahl von Funktionen nicht mehr von oben gesteuert wird. Wir treten daher dafür ein, dass all jene sich der parteiinternen Kandidatur für insbesondere die folgenden Funktionen bzw. Ämter – und diese auch alle gewählt werden – stellen können, die über die jeweils genannte Anzahl an Unterstützungserklärungen von Mitgliedern auf der jeweiligen Ebene verfügen (ausgenommen sind hierbei allfällige Delegationen in die jeweiligen Gremien durch Organisationseinheiten auf untergeordneten Ebenen):
  1. DelegierteR auf Bezirksparteikonferenz: 5 Unterstützungserklärungen (bei delegierenden Strukturen/Sektionen mit weniger als 50 Mitgliedern, 10% der abgerechneten Mitglieder)
  2. BezirksrätIn, Mitglied des Bezirksparteivorstandes, DelegierteR auf Landesparteitag: 20 Unterstützungserklärungen (bei Bezirksorganisationen mit weniger als 200 Mitgliedern, 10% der abgerechneten Mitglieder)
  3. BezirksparteisekretärIn, Mitglied des Bezirksparteipräsidiums, GemeinderätIn, LandtagsabgeordneteR auf Bezirksliste, DelegierteR auf Bundesparteitag über Bezirk: 50 Unterstützungserklärungen (bei Bezirksorganisationen mit weniger als 500 Mitgliedern, 10% der abgerechneten Mitglieder)
  4. BezirksparteivorsitzendeR, BezirksvorsteherIn, LandtagsabgeordneteR auf Landesliste, Mitglied des Landesvorstandes, NationalratsabgeordneteR auf Bezirksliste, DelegierteR auf Bundesparteitag über Land: 100 Unterstützungserklärungen (bei Bezirksorganisationen/Landesorganisationen mit weniger als 1.000 Mitgliedern, 10% der abgerechneten Mitglieder)
  5. Mitglied des Landespräsidiums, LandesparteisekretärIn, NationalratsabgeordneteR auf Landesliste: 250 Unterstützungserkärungen (bei Landesorganisationen mit weniger als 2.500 Mitgliedern, 10% der abgerechneten Mitglieder)
  6. Landesvorsitzender, Mitglied des Bundesparteivorstandes, NationalratsabgeordneteR auf Bundesliste: 500 Unterstützungserklärungen (bei Landesorganisationen mit weniger als 5.000 Mitgliedern, 10% der abgerechneten Mitglieder)
  7. Mitglied des Bundesparteipräsidiums, BundesparteisekretärIn: 750 Unterstützungserklärungen
  8. BundesparteivorsitzendeR: 1.000 Unterstützungserklärungen
Demokratie kann nur von unten nach oben funktionieren. Das bedeutet nicht, dass gewählte FunktionärInnen auf allen Ebenen bis ganz nach oben, nicht das Recht haben, Positionen zu entwickeln und in den eigenen Reihen nach Mehrheiten dafür zu suchen. Sehr wohl heißt das aber, dass demokratische Mehrheiten in den jeweiligen Gremien gefunden werden müssen, bevor eine neue oder geänderte Position im Namen der Organisation nach Außen (z.B. in den Medien) vertreten werden darf – erst recht gilt das natürlich für SpitzenfunktionärInnen. Bei grundsätzlichen Veränderungen wie z.B. Parteitagsbeschlüssen oder Teilen des Programms braucht es also zuvor einen (neuen) Parteitagsbeschluss. Nicht Einzelne dürfen für die Organisation entscheiden, sondern nur das Kollektiv. Daher ist vor Entscheidungen auch ein kollektiver und demokratischer Diskussionsprozess von unten nach oben erforderlich, beginnend also z.B. in den Sektionen oder Betriebsfraktionen. Die Mehrheitsmeinung, welche das Ergebnis in einem solchen Prozess ist, muss dann auf der nächsthöheren Ebene von Delegierten, die für diese stehen, vertreten werden.

Wie an den obenstehenden Funktionsbezeichnungen deutlich wird, lehnen wir Begriffe wie Landes-, BundesgeschäftsführerIn usw. ab. Der Begriff GeschäftsführerIn stammt aus der Arbeitswelt und ist daher für viele arbeitenden Menschen negativ konnotiert. Wir stehen daher für die einheitliche Anwendung des Begriffes SekretärIn auf allen Ebenen. Auf Bundesebene kann statt des sperrigen Begriffes BundesparteitsekretärIn auch ZentralsekretärIn verwendet werden.

Eine echte Demokratisierung schließt auch mit ein, dass die Mitglieder das Recht haben müssen, ihre Entscheidung zu ändern, wenn sie mit der politischen Arbeit des/r Gewählten nicht einverstanden sind. Daher ist es auch erforderlich, dass jene, die politischen Funktionen (in weiterer Folge schließt das auch öffentliche Ämter ein) ausüben, sich einer jederzeitigen Abwählbarkeit unterwerfen. Wenn sie nicht mehr die politische Linie der Mehrheit jener vertreten, die sie in das jeweilige Amt oder die Funktion bzw. auf die jeweilige KandidatInnenliste gewählt haben, müssen sie ihr Amt bzw. ihre Funktion zur Verfügung stellen. Selbstverständlich erfordert das auch, dass jederzeit NachfolgerInnen für die Abgewählten gewählt werden können. Demokratie kann nur funktionieren, solange die Gewählten die Interessen und Meinungen der Mehrheit ihrer WählerInnen vertreten und sich nicht von Sachzwängen dazu zwingen lassen, anders zu handeln. Wir treten daher dafür ein, dass eine Urabstimmung über die Abwahl auf der jeweiligen Eben erfolgen muss, wenn zumindest 10% der Stimmberechtigten auf dieser eine solche fordern.

Weiters treten wir dafür ein, dass die Wahlmethode umgestellt wird. Echte Wahlen statt Streichungen führen dazu, dass wir den Gewählten nicht mehr unser Misstrauen aussprechen, sondern unser Vertrauen. Für jemanden zu stimmen bietet aber auch eine echte Wahl. Wenn z.B. 10 Delegierungen zu vergeben sind, es aber 20 KandidatInnen gibt, dann sind jene 10 mit den meisten Stimmen delegiert, wohingegen jetzt auf den Listen dafür einfach nur 10 KandidatInnen stehen – eine echte Wahl gibt es also nicht. Demokratie kann nicht funktionieren, wenn sie auf Misstrauen basiert – genau das heißt es aber, wenn ich jemanden von einer Liste streiche: Ich will dich nicht (in dieser Funktion haben), ich misstraue dir. Eine Wahl durch Ankreuzen hingegen bedeutet: Ich will dich, ich vertraue dir, ich wähle dich. Nach diesem Modell hat jedeR Stimmeberechtigte so viele Stimmen wie Positionen zu wählen sind.

Demokratie erfordert auch, dass die jeweils Gewählten die materielle Lebensrealität jener, die sie vertreten, verstehen können. Und das geht nur, wenn sie nicht besser leben, als ihre WählerInnen. Das Sein bestimmt nach wie vor das Bewusstsein. Wir treten daher dafür ein, dass all jene, die politische Funktionen für die SPÖ ausüben (politische MandatarInnen egal auf welcher Ebene und in welcher Form, leitende SekretärInnen, Vorsitzende usw.) das verdienen, was früher einmal als FacharbeiterInnenlohn bezeichnet wurde. Ein brauchbarer Ansatz dafür ist der größte Kollektivvertrag im privaten Sozial- und Gesundheitsbereich – der SWÖ-Kollektivvertrag. Nachdem das für diesen Bereich zur Verfügung stehende Geld von der öffentlichen Hand kommt, wird die Qualität der Arbeit unserer MandatarInnen sich folglich direkt in den eigenen Gehältern niederschlagen. Da wir davon ausgehen, dass es sich bei den genannten Tätigkeiten um hochqualifizierte handelt, treten wir für eine Bezahlung nach der höchsten Verwendungsgruppe 9 ein. In der seit 01. Februar 2018 gültigen Version des genannten Kollektivvertrages ergäbe diese Regelung ein Bruttogehalt je nach Vordienstzeiten (wobei hier selbstverständlich auch solche in früheren Tätigkeiten anzurechnen sind) zwischen € 2.854,80 und € 4.481,30 brutto. Sollte dies mit bestehenden gesetzlichen Regelungen nicht vereinbar sein, etwa bei MinisterInnen, Abgeordneten, BezirksvorsteherInnen usw., welche ihr Gehalt nicht direkt von der SPÖ, ihren Teil- oder Vorfeldorganisationen beziehen, so ist die Differenz an jene Organisation abzuführen, welche für die Delegierung in das jeweilige Mandat verantwortlich zeichnet.

Zu mehr Demokratie gehört aber auch die Stärkung von Partizipation und Verantwortung. Bei jeder Konferenz leistet die Antragsprüfungskommission wichtige Arbeit. Es ist sinnvoll, dass Anträge mit gegensätzlichen Positionen vorab abgestimmt werden und dass Anträge auf Widersprüche zu Grundsatzprogrammen oder Statuten abgeklopft werden. Diese Arbeit, die oftmals in ihrem vollen Umfang gar nicht wahrgenommen wird, ist unverzichtbar.

Gleichzeitig ist es für einzelne Sektionen und Delegierte unbefriedigend, lediglich über Empfehlungen und nicht über die Anträge selbst abstimmen zu können. Mitbestimmung ist in Zeiten immer größer werdender Informationsverfügbarkeit eines der wesentlichsten Motive (vor allem für jüngere Menschen), in der Sozialdemokratie aktiv zu werden. Insbesondere in den Jugendorganisationen der Sozialdemokratie, aber auch in einigen Bezirksorganisationen werden daher keine Abstimmungsempfehlungen mehr ausgesprochen.

Gleichzeitig ist eine Delegierung auch immer mit Verantwortung für die gemeinsame Bewegung verbunden. In einer Partei, die auch innerparteilich Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Solidarität lebt, erscheint es wesentlich, Entscheidungen gemeinsam zu tragen und nicht zur Gänze an einzelne GenossInnen zu delegieren.

Wir treten daher dafür ein, dass die Antragsprüfungskommission in Antragskommission umbenannt wird und ausschließlich die oben genannten Aufgaben wahrnimmt, hingegen keine Empfehlungen für die Abstimmung mehr ausspricht, sodass in Zukunft auf allen Ebenen der Partei direkt über die Anträge abgestimmt wird.

Die Abstimmung über Anträge (und nicht über Empfehlungen) erfordert mehr Vorbereitungszeit. Daher werden in Zukunft den Delegierten alle Anträge für Bezirkskonferenzen spätestens zwei Wochen und für Landes- bzw. Bundesparteitage 1 Monat im Voraus zur Verfügung gestellt.

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